Ataf Chaudhry
Wir gehören alle zur Familie Mensch!
Ataf Chaudhry ist Mitglied des Integrationsrates und einer der drei stellvertretenden Vorsitzenden. Im Gespräch mit Bruno Wansing, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Bocholt, wird er für die Reihe "Wir im IR" vorgestellt.
Ataf Chaudhry, 45 Jahre alt, ist seit 2004 mit Kanwal Chaudhry (39) verheiratet und hat mit ihr vier Kinder, eine Tochter, Jazba Javed (15), und drei Söhne, Kashif Javed (16), Waleed Ahmed (9) und Ali Ahmed (8).
Flucht mit sieben Jahren
Chaudhry musste im Alter von sieben Jahren sein Heimatland Pakistan verlassen, da er mit seiner Familie als Anhänger der Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde aus religiösen verfolgt wurde. 1987 folgte er mit seiner Mutter und seiner Schwester dem Vater, der in Pakistan als Apotheker gearbeitet hatte, und schon ein Jahr zu vor geflüchtet war. Zunächst lebtet die Familie in Frankfurt bevor sie dann nach Bocholt umverteilt wurde. Dort bezog die Familie eine Wohnung an der Mussumer Ringstraße in einem Haus an der Bahnlinie. Zu ihm und seiner Schwester wurden dann noch zwei weitere Geschwister in Bocholt geboren.
Als Ältester hatte er es am Anfang schwer. "Ich konnte die Sprache nicht, die Eltern konnten mir nicht helfen und so musste ich mich selber durchbeißen". Vor allem in der ersten Zeit habe es aufgrund der Wohnsituation keinen Kontakt zu den Mitschülerinnen und Mitschülern gegeben. Mit dem Umzug in eine Wohnung am Theodor-Heuss-Ring habe sich das dann aber gebessert. "Ich hatte mehr Kontakt, konnte mich mit Mitschülern verabreden und - vor allem - ich konnte beim FC Olympia Bocholt Fußball spielen. Mein Trainer war Ludger Teklote, der mich auch immer unterstützt hat. Beim Pfarrheim Ss. Ewaldi habe er dann auch noch Hausaufgabenhilfe bekommen und die auch genutzt. Besonders durch den Förderunterricht an der Diepenbrockschule lernte er dann schließlich die deutsche Sprache.
Nach seinem Hauptschulabschluss an der Arnold-Jansen-Schule begann er eine Ausbildung als Industriemechaniker bei Caisley. Die Ausbildung beendet er im Jahre 2002, durfte dann noch einige Zeit als Geselle bei Caisley arbeiten, musste sich dann aber eine neue Stelle suchen. Die fand er bei VKF Renzel, wo er bis heute als Industriemechaniker arbeitet. "Alles war wir für die Produktion selber benötigen, stellen wir im eigenen Maschinenbau selber her", berichtet Chaudhry.
Bestehende Maschinen würden weiterentwickelt und verbessert. "Das ist das Schöne, entwickeln, selber bauen und Wartungs- und Reparaturarbeiten an verschiedenen Maschinen durchführen, ich habe eine sehr abwechslungsreiche Arbeit, weil ich mich immer neu in neue Aufgaben reindenken muss", so Chaudhry.
Durch Ehrenamt zum Integrationsrat
Kontakt im Sport oder im Ehrenamt führen häufig dazu, sich auch in Bereiche hineinzuwagen, die man vorher so gar nicht auf dem Schirm hatte. So war es auch bei Ataf Chaudhry. Durch seine Arbeit in der Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde Bocholt bei der er schon als Jugendlicher aktiv war, kam der Kontakt zu seinem ehemaligen Mitspieler Juan Lopez Casanava wieder neu auf. "Ich hatte mit unserer Jugendabteilung ein Freundschaftsspiel mit einem Team des FC Olympia Bocholt organisiert und im Anschluss daran kam Juan, der ja auch beim FCO aktiv war, zu mir und hat mich gefragt, ob ich nicht auch mal Lust hätte, da ich ehrenamtlich so aktiv sei, mir den Integrationsrat anzusehen". Das habe er dann getan und dort Elisabeth Löckener und Rosina Giorgio kennengelernt. Beide sind über die Liste "Zusammen aktiv" in den Integrationsrat gewählt worden. Er habe sich dann in der Liste für die Wahl 2020 aufstellen lassen und rückte dann, als Elisabeth Löckener, die auch stv. Vorsitzende des Integrationsrates war, nach Norden zog und ihren Sitz aufgeben musste, für sie nach. "Besonders Elisabeth hat mich mit ihrem Engagement beeinflusst und geprägt." Er selber habe in der Gemeinde schon früh angefangen, ehrenamtlich zu arbeiten.
Memet Cinar wird fehlen
Ein weiterer Mensch, der ihn sehr geprägt und beeinflusst hat, ist Memet Cinar. "Memet hat mich immer mit seiner direkten und ruhigen Art, ein Gespräch zu führen und seine Standpunkte klar zu machen, geprägt", hebt Chaudhry hervor. Memet Cinar habe schon früh erkannt, was für die Menschen mit internationaler Familiengeschichte wichtig sei. Als Beispiel nennt Chaudhry den Einsatz für einen muslimischen Teil des Bocholter Friedhofs. "Wenn jemand bereit ist, seine Angehörigen auch in Bocholt zu beerdigen, heißt das, dass Bocholt auch als Heimat angesehen wird." Cinar tritt bekanntlich nicht mehr für den Integrationsrat an. "Er wird uns fehlen, weil er viele gute Ansätze in den Integrationsrat eingebracht hat. Da wir auf der gleichen Linie (Integrations-) Politik gemacht haben, würde ich mich freuen, wenn er uns ab und zu besuchen kommt und mit uns im Gespräch bleibt."
Persönliche Bereicherung
"Mit der Arbeit im Integrationsrat und der gleichzeitigen Übernahme der Position des stv. Vorsitzenden habe ich viele Menschen kennengelernt, ob es Politiker, Mitarbeiter der Verwaltung, der EWIBO, der FABI oder auch vom Caritasverband waren. Eine große Hilfe war und ist auch heute noch der Integrationsbeauftragte Bruno Wansing, der mir bei den vielen Fragen rund um das Thema Integration immer Antworten geben konnte. Ihn kannte ich ja noch aus seiner Zeit beim Bürgermeisterbüro, als er den Charitywalk begleitet hat." Als Mitglied des Integrationsrates seien für ihn dann viele Türen aufgegangen. "Ich konnte die ehrenamtliche Arbeit weiter ausbauen, habe Möglichkeiten gefunden, mit den verschiedensten Menschen ins Gespräch zu kommen und so ist es mir gelungen, bestehende Missverständnisse abzubauen. Für mich persönlich ist die Arbeit im Integrationsrat eine persönliche Bereicherung."
Bildung, Beratung, Begegnung und Beteiligung
In der Liste "Zusammen aktiv", die sich auch für die Integrationsratswahlen am 14.9.2025 aufstellen lässt, tritt Ataf Chaudhry gemeinsam mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern für vier Säulen ein, die für die Integration von Menschen mit internationaler Familiengeschichte bedeutend sind, Bildung, Beratung, Begegnung und Beteiligung. "Bildung - und darunter fällt eben auch die Sprache - ist sehr wichtig, im Leben. Das fängt damit an, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem man lebt", betont Chaudhry. Menschen zu beraten und auch zu betreuen habe etwas mit "Dienen" zu tun. "Es ist wichtig, dass man eigene Erfahrungen weitergibt, damit diese dann nicht die gleichen Fehler machen, wie man selber." Gemeinsam mit dem Integrationsrat und dem Integrationsbeauftragten wolle er weiter dafür sorgen, dass Begegnungen möglich seien und geschaffen werden können. "Durch solche Begegnungen bauen wir Brücken in der Gesellschaft zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religion und unterschiedlicher Anschauungen, wir alle gehören zur Familie Mensch und das müssen wir auch zeigen", so Chaudhry eindringlich. Das Thema "Beteiligung" beschäftigt den Vorstand des Integrationsrates seit Jahren. "Wenn wir Menschen richtig beteiligen, dann zeigen wir dem gegenüber Sitzenden, dass er dazu gehört und dass sein Wort Gehör findet." Das sei auch ein Zeichen von Wertschätzung. Mit der Novellierung des § 27 der Gemeindeordnung sei das Thema "Beratungsfolge" jetzt auch klar geregelt, so dass der Integrationsrat, der künftig Ausschuss für Chancengerechtigkeit und Integration heiße, in den politischen Willensbildungsprozess zwingend mit eingebunden werde.
Das Motto des Integrationsrates "Mehr miteinander reden anstatt übereinander" sei schon gut verinnerlicht. "Ich würde mich freuen, wenn die Mitglieder des Integrationsrates sich in den Sitzungen auch mal mit eigenen Beiträgen zu Wort melden würden."
Was die Wahrnehmung des Integrationsrates in der Öffentlichkeit angehe, sei diese nach der Installierung von Bruno Wansing als Integrationsbeauftragter immens vorangekommen. "Vor allem durch unsere viele Veranstaltungen, bei denen die Kulturvereine, die Bocholterinnen und Bocholter direkt eingebunden werden, den vierteljährlichen Newsletter, Presseberichte und die Facebookseite wird der Integrationsrat immer bekannter", so Ataf Chaudhry.
Lösungen finden
Auf die Frage, wie denn die Zusammenarbeit des Integrationsrates mit der Politik und der Verwaltung sei, hat Ataf Chaudhry eine klare Antwort. "Seit wir unser Motto "Immer im Gespräch bleiben" und "miteinander und nicht übereinander reden" auch wirklich in die Tat umgesetzt haben, ist das Verhältnis zu den Politikern insgesamt sehr gut geworden. Wir sprechen Themen gemeinsam an und versuchen Lösungen zu finden, die auch den Erfordernissen der Menschen mit internationaler Familiengeschichte gerecht werden. Gerade am Beispiel "Takenkamp" hat die Politik schnell gemerkt, dass man aufeinander zugehen muss." Die Zusammenarbeit mit der Verwaltung klappe sehr gut. Bruno Wansing als Geschäftsführer des Integrationsrates halte die Fäden der Kommunikation gut zusammen und "ganz besonders gut gefällt mir, dass wir im Jour fix mit dem Bürgermeister immer alle wichtigen Themen auch direkt mit ihm ansprechen können", sagt Ataf Chaudhry.
Und was ist im Integrationsrat selber zu verbessern? "Im Vorstand mit dem Vorsitzenden und den drei Stellvertretern arbeiten wir sehr gut zusammen. Im Integrationsrat selber ist es wichtig, eine einheitliche Linie zu fahren, dann bekommen wir auch Dinge durchgesetzt", weiß Chaudhry. "Ich würde mir wünschen, dass die gewählten Vertreterinnen und Vertreter auch zu den Sitzungen kommen und sich regelmäßig einbringen. Wer in fünf Jahren bei maximal 25 Sitzungen nur an fünf Sitzungen teilgenommen hat, konnte so gut wie nichts für die Integrationsarbeit tun, das ist dann schade."
Nachbarn kennen und helfen
"Für mich fängt gelungene Integration mit den Nachbarn an", betont Chaudhry, "wenn ich meiner Nachbarschaft die Menschen nicht kenne und dort nicht behilflich bin, kann ich das auch nicht von anderen erwarten. Wichtig ist für mich immer, auf den anderen zuzugehen und mit ihm zu sprechen." Sprechen gehe nicht ohne die Sprache. "Es ist wichtig, die Sprache zu sprechen, die auch alle andern in dem Land sprechen, in dem wir leben." Neben Hilfsbereitschaft und Sprache sind auch Veranstaltungen wichtig, bei denen man sich begegnen kann, so. Z.B. das Generationenkochen, das IHelp-Projekt, der 1. Mai, die IKW usw. Da sind wir in Bocholt gut aufgestellt.
Und was kommt nach dem 14. September?
Ich möchte auf der guten Arbeit, die wir gemeinsam geleistet haben, aufbauen und hoffe, dass wir den Jour fix mit dem Bürgermeister ebenso aufrechterhalten können wie die regelmäßigen Gespräche mit der Politik. Da viele Vereine keine Räumlichkeiten ständig zur Verfügung haben, müsste das Lernwerk noch mehr für die Kulturvereine, die nicht selber über Räumlichkeiten verfügen, nutzbar gemacht werden, auch mal für vereinsinterne Feiern.